Raiffeisens Gründung der Darlehenskassen-Vereine und Aufbau des Genossenschaftswesens

Raiffeisen als Bürgermeister in Heddesdorf

Am 24. August 1852 erhielt F.W. Raiffeisen den offiziellen Bescheid über seine neue Dienststelle, die er am 16. September antrat. Sein neuer Amtsbezirk umfasste fünf Pfarreien und 14 Gemeinden mit etwa 9.000 Einwohnern. Heddesdorf selbst zählte 1840 1.424 Bewohner, bis 1875 mehr als das Doppelte. Obwohl viele in der Landwirtschaft tätig waren, fanden sich annähernd so viel Handel- und Gewerbetreibende, v.a. aber Industriearbeiter. Hauptarbeitgeber war der bereits seit etlichen Jahrzehnten produzierende Rasselstein. Daneben existierten weitere stahlerzeugende und -verarbeitende Industriebetriebe. In diesen Jahren blühte die Schwemmsteinfabrikation auf. Ferner existierten ein Kalkofen, eine Salmiakfabrik und eine Zucker- und Kartoffelmehlfabrik, auf deren Gelände später ein Dampfsägewerk und eine Holzhandlung entstanden.

Am 22. Dezember 1853 wurde das neu errichtete Bürgermeisteramt seinem Zweck und der Öffentlichkeit übergeben. Raiffeisen erwartete hier als 36-Jährigen eine neue Herausforderung: Die Bekämpfung der Not unter der Arbeiterschaft und den kleinen Handwerkern.

Die neuen Erwerbszweige lockten bei nur begrenztem Arbeiterbedarf zahlreiche Landwirts- und Tagelöhnersöhne in Stadtnähe, viele von Ihnen blieben erwerbslos. Kleine Handwerker waren häufig verschuldet, die Lebensumstände hart und ungewohnt.

Bereits im Februar 1854 standen die Satzungen des daraufhin gemeinsam mit seinem Schwager, Pfarrer Renckhoff aus Anhausen, konstituierten "Heddesdorfer Wohltätigkeitsvereins", dessen Generalversammlung im Mai stattfand. § 27 definiert klar folgende Zielsetzung: "Der Verein hat die Wohltätigkeit in jeder Beziehung, namentlich aber die Erziehung der unteren Volksklasse, insbesondere verwahrloster Kinder, die Beschäftigung Arbeitsloser und entlassener Sträflinge und die Förderung des Wohlstandes unter der ersteren, sowie die Erhaltung des Wohlstandes in der Mittelklasse zum Zweck."

Im Detail erleichterte man den "unbemittelten Landleuten die Beschaffung von Vieh, den braven, aber ebenfalls mittellosen jungen Handwerkern die Beschaffung von Werkzeugen" und zwar durch Gewährung kleiner Darlehen.

Sein Augenleiden, rheumatische Beschwerden und ein Nervenleiden zwangen Raiffeisen einige Jahre später zur Einreichung eines Pensionsgesuchs, das schließlich am 21. November 1865 vom Landrat veranlasst wurde.

Foto: Titelseite des Buches von Raiffeisen zur Gründung und Organisation von Darlehnskassen.Nach 1862 fasste Raiffeisens Idee in den umliegenden Gemeinden Fuß. In Anhausen und Heimbach-weis (für das Amt Engers) werden erste genossenschaftlich organisierte Vereine sich nicht länger aufrecht erhalten ließ, wandelte man auch den "Heddesdorfer Wohltätigkeitsvereine in den zukunftsträchtigeren "Darlehenskassen-Verein" um, dem nun auch ärmere Leute als Mitglied beitraten und somit zugleich als Darlehensgeber und -nehmer fungieren konnten.

Aufbau der Genossenschaften - Entwicklung des Genossenschaftswesens

Als gegen Ende der 1860er Jahre die Zahl der Darlehnskassen-Vereine sprunghaft anstieg, reifte in Raiffeisen der Plan, für die Vereine eigene Zentralen zu organisieren, die sie im Geldverkehr unterstützen sollten.

Eine Zentralbank sollte ausgleichend fungieren, den Überfluss an Mitteln eines Vereins gegen den Geldmangel des anderen aufwiegen helfen. Ein weiteres Ziel war die Aufsicht der Zentrale über die kleinen, auf Dorfgemeinschaften beschränkte Vereine, das 1877 schließlich in der Gründung des "Anwaltschaftsverbandes ländlicher Genossenschaften seinen Ausdruck fand.

Weiter sah Raiffeisen in einer "Selbsthilfe bis zur Spitze" ein Mittel, die Bevölkerung zu schulen. Als provisorische Lösung ließ er den Heddesdorfer Darlehnskassen-Verein mit den übrigen Vereinen Geldüberhang und Geldbedarf untereinander ausgleichen.

Nach langem Ringen mit Professoren und Banksachverständigen erreichte Raiffeisen am 17. Mai 1872 die Gründung der "Rheinischen Landwirtschaftlichen Genossenschaftsbank" mit Sitz in Neuwied, der ersten genossenschaftlichen Geldausgleichsstelle.

In schneller Folge wurden weitere Zentralkassen gegründet, so noch im Jahre 1874 die "Landwirtschftliche Zentralkasse für das Großherzugtum Hessen" mit Sitz in Worms, die "Westfälische landwirtschaftliche Bank" in Iserlohn.

Eine weitere Dachgesellschaft sollte im übrigen alle Zentralbanken in der "Deutschen Landwirtschaftlichen Generalbank" zusammenschließen. Auch deren Gründung erfolgte 1874 in Neuwied mit Blick auf einen späteren Sitz in der Reichshauptstadt. Diese Dreistufigkeit blieb bis in die Gegenwart erhalten.

Hinzu kamen neben der Bildung von Darlehnskassen-Vereinen und deren weitreichender Organisation auch das gemeinsame Warenbezugswesen in Form des Kommissionsgeschäftes, deren Zentrale die 1881 gegründete Firma "Raiffeisen, Faßbänder & Cons." bildete.

Bereits einige Jahre zuvor sah Raiffeisen die Gründung "Landwirtschaftlicher Kasinos" als "Bildungsverein" im Sinne des technischen Fortschritts zur Erzielung besserer und höherer Erträge vor.

Bewährt haben sich der gemeinsame Bezug landwirtschaftlicher Maschinen und Güter, also der Consumgenossenschaften, bis in die heutige Zeit, sind sie doch weltweit anzutreffen und große Pioniere auf dem Sektor der Entwicklungshilfe.


(Quelle: "Friedrich Wilhelm Raiffeisen und sein Umfeld" von Dr. Reinhard Lahr, Kreisverwaltung Neuwied/Museumsführer 2003)

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