Protokollbuch aus dem Jahr 1862

Raiffeisen schlummerte lange in alter Holzkiste

Hedwig Runkel übergab historisches Protokollbuch des Darlehens-Kassen-Vereins für das Kirchspiel Anhausen Landrat Kaul - Wertvoller Fund wandert jetzt ins Kreismuseum.

Auf den Speichern alter Häuser schlummert so manches Geheimnis. Diese Erfahrung machte auch Hedwig Runkel aus Thalhausen. Das von ihr gefundene Protokollbuch des Raiffeisen Darlehens-Kassen- Vereins für das Kirchspiel Anhausen aus dem Jahr 1862 sicherte jetzt Landrat Rainer Kaul fürs Raiffeisenmuseum. Der war begeistert: "Hier gab's die erste Raiffeisenbank Deutschlands."

THALHAUSEN. Nach dem Tod des Großvaters stieß Hedwig Runkel 1984 auf eine Kiste mit einigen Altertümchen: eine Bibel von 1844, ein Andachtsbuch von 1746 und ein Protokollbuch des Raiffeisen Darlehens-Kassen-Vereins für das Kirchspiel Anhausen aus dem Jahr 1862. Hedwig Runkels Verbindung zu Raiffeisen: Ihr Großvater Friedrich Seuser gehörte dem Vorstand des "Kreditinstituts" an. Sie gibt das Buch gern aus den Händen: "Es ist im Kreismuseum besser aufgehoben als in meiner Schublade. So hat auch die Allgemeinheit etwas davon."

Die Rentnerin aus Thalhausen ahnte damals nichts von der historischen Bedeutung des Fundes und sprach despektierlich von einem "alten Schinken". "Was willst Du denn damit? Das willst Du doch nicht verwahren", empörte sich damals Ehemann Willi. Hedwig Runkel ließ sich nicht beirren und verwahrte das Dokument.

Foto: Der Landrat und die edle Spenderin Hedwig Runkel. Die beiden werden eingerahmt von Karl Henn (links) und Dr. Reinhard Lahr. Die Gruppe hat sich übrigens vor dem Geburtshaus (links) der Rentnerin aus Thalhausen postiert. Foto: Ralf BrockmeierZur Freude von Landrat Kaul: "Liebe Frau Runkel, ich bin froh, dass Sie das Buch nicht weggeworfen haben." Als er den Protokollband in Empfang nahm, überreichte er einen Dankesbrief und einen schriftlich formulierten Leihvertrag. Der enthält auch einen Passus, wonach das Buch versichert ist. Aufmerksam geworden war der Kreis-Chef übrigens auf das historisch wertvolle Stück durch einen Tipp von Karl Henn, seines Zeichens Bürgermeister a.D. von Anhausen.

Der Fund aus Thalhausen soll Platz im Kreismuseum finden, das momentan aufgemöbelt wird. Hier soll Friedrich- Wilhelm Raiffeisen den ihm gebührenden Raum einnehmen. Der Kreis plant für das kommende Jahr mit finanzieller Unterstützung aller bundesdeutschen Raiffeisenbanken Großes mit dem Mann, der den Genossenschafts-Gedanken prägte: 1852, also vor 150 Jahren trat Friedrich-Wilhelm Raiffeisen das Bürgermeisteramt in Heddesdorf an. Frau Runkel wird zur Eröffnung der Raiffeisen-Präsentation im kommenden Jahr als Ehrengast eingeladen, versprach der Landrat.

Historiker Dr. Reinhard Lahr von der Kreisverwaltung schmökerte in dem alten Folianten und stieß sofort auf Interessantes. 73 Gründungsmitglieder kamen am 27. März 1862 zusammen, um den Darlehens-Kassen-Verein für das Kirchspiel Anhausen, also Thalhausen, Rüscheid, Meinborn und Anhausen, aus der Taufe zu heben. Damit ist der Fund älter als der aus Heimbach für das Amt Engers (Juli 1862).

Vorangestellt waren dem "Kassenbuch" des Kirchspiels Anhausen die Statuten, die die Grundlagen des geschäftlichen Handelns fixierten. Der erste von 36 Paragraphen nennt den Zweck des Vereins: "Von dem Gesichtspunkt ausgehend, dass durch die Hebung der leiblichen Wohlfahrt auch die geistige gefördert wird, bezweckt der Verein durch die Gewährung von Darlehen an strebsame und bedürftige Anwohner des Kirchspiels, sie in den Stand zu setzen, die Früchte ihrer Arbeit zu genießen." Als Vorsitzender des Verwaltungsrats fungierte Pfarrer Renckhoff.

Die Zinsen für gewährte Darlehen waren ebenso in den Statuten festgeschrieben: einen Silbergroschen und sechs Pfennige je ausgeliehenem Taler, der einen Wert von 30 Silbergroschen repräsentierte. Geld borgen musste der Verein selbst, um 1862 seine Arbeit aufnehmen zu können. Der Darlehens-Kassen-Verein lieh bei der Witwe Wittich aus Neuwied 2000 Taler zu einem Zinssatz von 4,5 Prozent. Zum Vergleich: Der bei einer katholischen Elementarschule angestellte Lehrer verdiente 200 Taler im Jahr, ein Roggenbrot kostete fünf Silbergroschen, ein Glas Bier einen Silbergroschen.

Der Verein nahm einen guten Start und einen positiven Verlauf. Bereits 1868, sechs Jahre nach seiner Gründung, stehen Einnahmen von 13 213 Talern Ausgaben von 12 645 Talern gegenüber. 

Ralf Brockmeier/RZ Neuwied vom Mittwoch, 14. November 2001, Seite 22 NR. 264

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