Denn
anderenfalls kann sich allein im Landkreis Neuwied mit seinen beiden
Wahlkreisen ein mehr als skurriles Szenario entwickeln: „In
der Stadt Neuwied sind die Infektionszahlen zurzeit hoch und bleiben es
vielleicht auch. Wenn das zur Folge hätte, dass im Wahlkreis 4
(Neuwied/Dierdorf/Puderbach) eine ausschließliche Briefwahl stattfindet,
gleichzeitig aber im benachbarten Wahlkreis 3
(Rengsdorf-Waldbreitbach/Linz/Asbach/Unkel) aufgrund niedrigerer
Inzidenz eine Urnenwahl möglich ist, dürfte das zu erheblichen
Irritationen und zu großem Unmut führen“, mahnt Landrat Achim
Hallerbach.
Das
zweite Problem sieht er in der Wahlbeteiligung. „Wer geht in diesen
Tagen in ein Wahllokal, indem schon Menschen aus mindestens vier
Haushalten sitzen?“, fragt er und verweist darauf, dass für eine
Urnenwahl nun einmal mindestens ein Wahlvorsteher, ein Schriftführer und
zwei Beisitzer benötigt werden. „Ganz zu schweigen von der Frage, wer
sich hierfür in Pandemie-Zeiten zur Verfügung stellt“, ergänzt
Hallerbach, der als Landrat und Kreiswahlleiter letztlich den Ablauf der
Wahlen zu steuern hat. „Aufgrund
der bisherigen Rückmeldungen lässt sich bereits heute abschätzen, dass
nicht alle Wahllokale mit der gesetzlich notwendigen Personenzahl
besetzt werden können“, macht er deutlich. Daher drohe die Situation,
dass in einigen Regionen keine Wahllokale zur Verfügung stehen könnten.
Gerade
jetzt nach dem zweiten verlängerten Lockdown, in dem Schulen,
Einzelhandel und Gastronomie, Fitnessstudios und Friseure in die
Zwangsschließung geführt wurden, in dem private und familiäre Kontakte
auf ein Minimum zu reduzieren sind und in dem Bund und Land bis zum 15.
März Home-Office „verordnen“, riskiere die Landesregierung
Menschenansammlungen und Warteschlagen vor den Wahllokalen. Das ist nach
Ansicht von Landrat Hallerbach unverantwortlich.
„Unter
Betrachtung der aktuellen Pandemielage steht die Durchführung der
Landtagswahl als Urnenwahl, trotz Hygienemaßnahmen in den Wahllokalen,
diesem entgegen. Denn auch mit allen Vorsichtsmaßnahmen lässt sich das
Restrisiko einer Infizierung, möglicherweise auch beeinflusst durch
ansteckendere Virusmutationen, nicht ausschließen“, argumentiert der
Landrat in seinem Schreiben an den Landeswahlleiter.
Selbst
verfassungsrechtliche Bedenken, die der uneingeschränkten Urnenwahl die
erste Priorität einräume, müssten gerade wegen der Corona-Pandemie
hintenangestellt werden. Mit der Briefwahl erhalte jede Wählerin und
jeder Wähler umfassende Möglichkeit, den künftigen Landtag zu bestimmen.
Für
alle Volksvertretungen in den Bundesländern, Kreisen und Gemeinden gilt
Art. 28 Abs. 1 S. 2 Grundgesetzes, der besagt, dass die Volksvertreter
und -vertreterinnen in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und
geheimer Wahl zu wählen sind. Diese fundamentalen Wahlrechtsgrundsätze
sind für das gesamte Wahlverfahren zu beachten. Allerdings hat das
Bundesverfassungsgericht auch festgestellt, dass es die „Natur der
Sache“ mit sich bringt, dass nicht jeder der Wahlgrundsätze stets in
voller Reinheit verwirklicht werden könne. So ist der Grundsatz der
geheimen Wahl beim Ausfüllen des Wahlzettels am heimischen Küchentisch
vielleicht nicht 100-prozentig gegeben. Gleichzeitig trägt aber dieser
Wahlzettel dazu bei, dem Grundsatz der Allgemeinheit Rechnung zu tragen,
weil er zu einer umfassenden Wahlbeteiligung beiträgt.
„Ich
appelliere dringend an die Landesregierung, dafür zu sorgen, dass
landesweit einheitlich eine ausschließliche Briefwahl stattfindet. Dies
wäre eine klare Regelung, auf die sich alle Wählerinnen und Wähler, alle
Verantwortlichen einstellen könnten. Und das unabhängig davon, wie der
Inzidenzwert am Tag der Wahl oder eine Woche vorher ist“, fordert
Landrat Achim Hallerbach.
Einstimmige Unterstützung erhielt er von allen Bürgermeistern der sechs Verbandsgemeinden des Landkreises und vom Oberbürgermeister der Stadt Neuwied. In einer Telefonkonferenz bekräftigten sie den ausdrücklichen Wunsch einer ausschließlichen Briefwahl.